Dienstag, 4. April 2017

Gastrezension von jenvo82 zu Das Leben wartet nicht von Marco Balzano




Preis: € 22,00 [D]
Einband: Hardcover
Seitenanzahl: 304
Altersempfehlung: -
Verlag: Diogenes
Weiter Infos zum Buch + Bildquelle

„Erst jetzt begreife ich, wie geschützt ich hinter Gittern war. Wenn ich mich dort als Versager fühlte, war ich wenigstens nicht der einzige. Hier draußen dagegen begegnet man Leuten, die dir die ganze Lebenslust um die Ohren hauen, die bei dir verpufft ist.“
Inhalt
Mit neun Jahren kommt der pfiffige, kleine Junge Ninetto nach Mailand, um dort ein neues, besseres Leben zu beginnen als in seiner Heimat Sizilien. Seine Mutter lebt nach einem Schlaganfall im Altenheim und sein Vater kann der Abwärtsspirale durch Armut, Hilflosigkeit und Depression nicht entkommen, so dass er seinen Sohn regelrecht drängt, woanders hinzugehen. In der Fremde schlägt sich Ninetto als Bote durch und erobert die Straßen seines verkommenen Wohnviertels. Als er mit 15 Jahren seine große Liebe Maddalena trifft und heiratet, bekommt er erstmals die Chance auf persönliches Glück und eine intakte Familie, die er sich so sehr wünscht. Doch die Jahre vergehen, ohne nennenswerte Höhepunkte und ein tödlicher Fehltritt beraubt Ninetto seiner Freiheit. Als er nach 10 Jahren wieder aus der Haft entlassen wird, kennt er die Welt nicht mehr und doch kennt er jeden verdammten Tag, der ihm fehlt und der ihn unwiederbringlich daran erinnert, was er selbst mit 57 Jahren noch nicht erreicht hat …
Meinung
Der italienische Autor Marco Balzano fängt in seinem eher stillen, tiefsinnigen Roman die Befindlichkeiten eines Menschen ein, dem es an Heimat- und Zugehörigkeitsgefühl fehlt und der versucht sein kindliches Defizit durch eigene, engagierte Handlungen auszugleichen. Das Buch gleicht einem Erfahrungsbericht und ist doch so viel mehr. Viele kleine Ereignisse, erinnerungswürdige Momente und bleibende Eindrücke werden geschildert, so dass der Leser nicht nur erfährt, warum der Protagonist jahrelang im Gefängnis saß, sondern auch, warum er so wurde, wie er jetzt ist. Ebenso gefühlvoll und differenziert führt Balzano eine Liebesgeschichte auf, die mehr als 40 Jahre gehalten hat, trotz oder gerade wegen der dramatischen Ereignisse, die sie immer wieder bedroht haben. Eine Liebe, die durchaus ihre Schwächen und Konflikte hat und die in der Gegenwart nicht nur glänzt. Doch aus den Handlungen spricht tiefe Verbundenheit, ein inniges Verständnis und die Überzeugung, den Menschen gefunden zu haben, den man wirklich braucht, um sich wohl zu fühlen.
Der Schreibstil ist sehr erzählerisch, mit humorvollen Worten durchsetzt und mit Lebensweisheiten gespickt. Oft blitzen wunderschöne Sätze auf, die man sich nur zu gerne notiert, um sie nachklingen zu lassen. Lediglich die sporadischen Zeitwechsel, die immer wieder einfließen und die ungenaue Abgrenzung nach Kapiteln haben bei mir kurzzeitig für Verwirrung gesorgt. Doch schon bald gewöhnt man sich auch an diesen schriftstellerischen Schachzug.
Fazit
Ich vergebe 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) für diesen typisch italienischen Roman, der mir nicht nur das schicksalhafte Leben des entwurzelten Ninettos nähergebracht hat, sondern auch die generellen Missstände und Entwicklungen in einer Welt, in der es an Anerkennung und Akzeptanz fehlt und die nur dadurch besser werden kann, wenn sich Menschen darauf besinnen, was es bedeutet, füreinander einzustehen und gemeinsam für die Werte des Lebens zu kämpfen. Eine melancholische, von Erinnerungen geprägte Erzählung, die nachwirkt und trotz ihrer Schwere Hoffnungen keimen lässt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen